Harma Regina Rieth

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HARMA *KinderGeschichten* für Paul - Moritz - Frida

Eine, KindheitsErinnerung und Kindergeschichten

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Gina ... im Alter von 2 Jahren, 4 Jahren und 6 Jahren.

Harma Regina,  die einfach nur *Gina* genannt wurde ...

Der rosarote Bach

Es war wieder einmal so ein herrlicher Sommertag, an dem man einfach raus auf die Gasse zum Spielen musste, weil die Sonne einen regelrecht vor die Tür lockte. Doch wie zu erwarten war um diese Zeit auf der Gasse noch nichts los. Meine Geschwister und Freunde, die schon zur Schule gingen, mussten wohl noch Hausaufgaben machen und lernen. Wahrscheinlich brüteten sie noch immer über ihren Aufgaben, wie Oma es stets belustigt ausdrückte, wenn das Hausaufgabenmachen so lange dauerte. Ansonsten wären sie ja schon längst laut jubelnd aufgetreten, das war sicher. Ich durfte zwar mit Erlaubnis von Mutter schon jetzt zum Spielen raus, aber was nutzte es, wenn niemand zum Versteckspiel, zum Hüpfen, zum Laufen, Springen und Murmelspielen oder für Räuber und Gendarm da war. Nichts! Absolut nichts! Gelangweilt und missmutig, weil an diesem Tage wieder alle Freunde so unendlich lange brauchten für ihre Hausarbeiten, setzte ich mich auf den Stapel Winterholz, der vor der Haustür lag.
Ich stocherte und fingerte launisch und maulend an den verwitterten Baumrinden der Holzstämme herum. Obwohl ich wusste, dass der Baumstamm und die Rinde des Stammes nichts für meine momentane Situation konnten, reagierte ich mich missmutig und verärgert daran ab.
Es wurde Zeit, dass die anderen Kinder endlich Sommerferien bekamen, denn es war schon schlimm genug, dass morgens keiner zum Spielen da war. Aber dass dann auch noch mittags keiner vorbeischaute, das ließ mich regelrecht motzig werden.
Dass ich nach den Sommerferien eventuell selbst nachmittags über Hausaufgaben sitzen und brüten würde, verdrängte ich sogleich. Das war keine schöne Erwartung und wurde sofort von mir beiseite geschoben. Ich wollte mir den schönen Tag mit solchen unliebsamen „Zukunftsvisionen" auf keine Fall verderben.

*

Da hörte ich auch schon die Worte meiner Mutter. Während sie sich weit aus dem Küchenfenster lehnte, schaute sie mir nach und rief wie immer etwas hinter mir her:
„Pass auf dein neues Kleidchen auf, Gina, mach dich nicht schmutzig, und sei artig! Ich möchte keine Klagen über dich hören. Hast du verstanden, Gina?"
Schließlich folgte noch wie immer der ermahnende Satz: „Und bleib von Grewaschs Kellerfenster weg, es ist Montag, du weißt, da ist wieder der böse Mann im Keller!"
„Immer dieses Geschiss um Grewaschs Kellerfenster, das nervt doch echt!", meckerte ich als Antwort auf Mutters nerviges Rufen mehrmals leise in meinen Bart hinein.
Ich konnte es nicht mehr hören, immer das Gerede von Grewaschs Kellerfenster und dem angeblich bösen Mann. Wie immer dasselbe unnötige Gelaber, dachte ich wieder unwirsch.
Alles wie gehabt, Mittag für Mittag dieses Geschrei über Benehmen und Verbote! Mutter könnte sich wirklich mal etwas Neues einfallen lassen, dachte ich ein klein wenig erbost über ihr ständiges Ermahnen, ihre Gebote und Verbote bezüglich Nachmittagsgestaltung.
„Ich bin doch kein Kleinkind mehr! Schließlich gehe ich nach den Ferien schon zur Schule.
Also, was soll das?", maulte ich.
Schmollend schob ich meine Unterlippe vor und mit zusammengekniffenen Augen schaute ich beleidigt zum Küchenfenster zurück.
Immer dieselbe Leier, immer dieselben Ermahnungen, und gleich ruft sie noch: „Und sei höflich, wenn man dich etwas fragt, Gina! Gib schön Antwort!"
Und im nächsten Moment hörte ich genau diese Worte wie ein Echo in Form von Mutters ermahnenden Rufen meinen Gedanken hinterherhallen.
„Ja, ja, ja", äffte ich noch Minuten später die Unterhaltung mit meiner Mutter nach, während ich übelgelaunt auf dem Stapel Brennholz für den Winter saß, das vor der Haustür wie jedes Jahr fachgerecht aufgeschichtet und gelagert war. Mit weit aufgerissenen Augen und herausgestreckter Zunge grimassierte ich herum wie ein verrückt gewordener Clown.
„Und wenn du nicht hörst, was ich dir sage – setzt es was!", kam noch der abschließende Drohsatz von ihr hinterher geflogen, alles ohne Rücksicht auf etwaige weitere Zuhörer in der Nachbarschaft.
Ich zuckte kurz im Genick zusammen und zog blitzschnell wie eine Schildkröte gekonnt meinen Kopf ein, sprang vom Holzstapel runter und weg war ich.
Ich turnte und balancierte nur noch auf einem einzelnen Holzstamm herum. Ja, Mutter schleuderte meist noch etwas Drohendes hinter einem her. Das kannte ich zur Genüge, doch es beeinflusste mein Handeln nicht im Geringsten. Daher prallte der ermahnende Zusatz auch an diesem Tage von mir ab.
Ich überlegte noch einmal genervt und missmutig, was ich jetzt mit mir und dem schönen, sonnigen und warmen Sommernachmittag anfangen könnte.
So ganz alleine als Herrscherin über die Gass!

*

Ich tröstete mich damit, dass ich zwar wie immer zu dieser Zeit alleine auf der Gasse war, aber dafür die nächsten Stunden ohne Streitereien mit Geschwistern oder Freunden, letztendlich einmal machen konnte, was ich wollte. Ich war also die Anführerin! Endlich hatte ich das Sagen. Ich konnte selbst bestimmen, was ich machen wollte.
Begeistert über diese Tatsache, obwohl ja sonst niemand da war, den oder die ich anführen konnte, sprang ich begeistert, jedoch allzu ruckartig vom letzten Holzstamm. Der sogleich bedrohlich ins Rollen kam.
Und augenblicklich machte es raaaatsch...! Ich blieb mit meinem Kleidchen hängen. Im gleichen Moment sprang Mauzi, die Nachbarskatze, mit ihrer Beute, einer kleinen Feldmaus, im Schlund durch meinen allzu hastigen Sprung aufgeschreckt aus ihrem Versteck hinter dem Holzstapel hervor.
Auch ich erschrak durch das laute Miauen und Aufschreien von Mauzi, und wir starrten uns gegenseitig, allmählich durchaus ängstlicher werdend, entgeistert in die erschrockenen Augen. Es war in der Kürze des Augenblicks nicht festzustellen, wer vor wem mehr Angst hatte! Mauzi mit Maus im Maul und ihrem kämpferischen Verteidigungsblick, oder ich, ohne Beute, jedoch mit Riss im neuen Kleidchen. Die Maus nutzte die augenblickliche Verwirrsituation zwischen uns beiden aus, entwich Mauzi und flitzte zurück in ihr Holzstapelversteck. Weg war sie. Ich denke noch heute, dass die Maus mich doch eher dankbar als ängstlich angesehen hatte, als sie verdattert um die Ecke geflitzt war. Und Mauzi schlenderte, sich eine neue Beute suchend, verärgert weiter... Nun begutachtete ich mein Kleidchen und meckerte sogleich laut drauf los: „Auch das noch!"
Natürlich war ich mit meinem Kleidchen an einem Aststumpf hängen geblieben. Nun hatte es einen langen hässlichen Riss. Mein schönes gelb, rosa und grün kariertes Kleidchen war lädiert! Na ja, da ist der Ärger für heute Abend schon vorprogrammiert, durchzuckte mich der flüchtige Gedanke an eine eventuelle Strafpredigt von Mutter.
Aber ich wollte jetzt nicht an die bevorstehende, eventuell stressige Diskussion über den Riss im karierten Kleidchen denken.

*

Kurz entschlossen machte ich mich auf den Weg, um endlich etwas Abenteuerliches zu erleben oder wenigstens ein ausgefallenes Spiel zu spielen. Da ich ja heute endlich mein eigener Anführer war. In Gedanken versunken schlenderte auch ich wie Mauzi weg, ungeachtet der Tatsache, dass ich mich eigentlich nicht vom Hof entfernen sollte, und machte mich heimlich auf den Weg ins Abenteuer.
Mein geheimer Weg führte mich übers Mühleck in Richtung Dorfmitte. Und noch immer war ich in Gedanken damit beschäftigt, was ich denn nun alleine spielen könnte. Doch mir wollte absolut kein Spiel einfallen, das alleine Spaß gemacht hätte.
Da entschied ich mich, mir kurzerhand die Fische im nahe gelegenen Bach anzusehen und sie heimlich zu besuchen. Vielleicht freuen sie sich, mich zu sehen, dachte ich für mich. Es ist auf alle Fälle einen Versuch wert, bevor ich hier weiter ganz lustlos und gelangweilt alleine rumhänge. Und ich schlich geradewegs in die Richtung des nahe gelegenen Baches.
Vorsichtig bog ich an der Grewerschen Hausecke ab. Und da, plötzlich stand ich vor einem mächtigen braun-weißen Ungeheuer! Erschrocken blickte ich in zwei riesengroße braune Augen mit unendlich langen, dichten, schwarzen Wimpern. Sie sahen mir direkt in meine Augen. Ich purzelte vor Schreck über den Boden, unmittelbar dem großen komischen Tier vor die Füße.
Einen Augenblick blieb ich verdattert sitzen. Augen in Augen blickend starrten wir uns an. Fluchtartig krabbelte und rutschte ich auf meinem Hosenboden rückwärts von dem braun-weiß gefleckten Ungeheuer weg! Als ich weit genug weg war, stellte ich mich auf meine Beine und rannte, so schnell ich nur konnte, fluchtartig davon, um das Ungeheuer, vorsichtshalber aus sicherer Entfernung, etwas genauer zu begutachten. Was war denn das für ein komisches Vieh?
Das Tier sah mich mit traurigen Augen an, und ich kam zu dem Schluss, dass das eventuell eine Kuh sein müsste. Ja, doch! Natürlich - das war eine Kuh! Aber wieso steht denn hier eine Kuh angebunden an der Hauswand herum?
Freundlich sah ich sie nun an, ich kam wieder näher heran und fragte neugierig: „Was machst du denn hier?" Sie antwortete mit einem lauten „Muuuh", und ich ergriff sofort wieder die Flucht! Atemlos und mit wild pochendem Herzen lief ich, so schnell ich nur konnte, weiter in Richtung Bach. Doch der Gedanke an das seltsame Zusammentreffen mit der traurig dreinschauenden Kuh beschäftigte mich weiter, bis ich dann endlich noch ein Stück weg den Bach erspähte. Beim Anblick des herrlich plätschernden Wassers vergäße ich die Kuh sicher wieder. Der Bach, der wirklich nur einige wenige Häuser weiter unterhalb der Gasse entlang plätscherte, glitzerte prächtig zwischen den Häusern hervor. Er zog mich immer an wie ein Magnet. Nur noch wenige Meter. Ich sah den Bach nun direkt vor mir, lief eilig mit Freudensprüngen geradewegs auf ihn zu. So kam ich gehetzt, jedoch mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht völlig außer Puste an dem kleinen Bach an.

*

Ohne Probleme und ohne Hilfe von meinen Geschwistern den Bach zu erreichen war mit knapp sechs Jahren schon eine beachtliche Leistung, und es machte mich unheimlich stolz, dass es mir geglückt war. Ich war stolz wie Bolle und strahlte mit der Mittagssonne um die Wette. Flüchtig dachte ich noch daran, dass ich zwar stets ermahnt wurde, mich vom Bach, und somit auch vom Wasser fernzuhalten.
Doch das war da gerade einmal in diesem Augenblick völlig in Vergessenheit geraten.
Vielleicht sehe ich heute ein paar Fische, kam mir wieder der Gedanke auf einige neue Spielgefährten in den Sinn. Alle Warnungen bezüglich Fernhalten vom Bach und Wasser großzügig zur Seite schiebend, schlich ich mich vorsichtig weiter an das herrlich verlockende Wasser heran.

*

Vorsichtig, ganz zögerlich hielt ich einen Finger in das kühle Nass. Kurz nach rechts und links umschauend, erkannte ich sogleich, dass ich alleine am Bach war. Schnell zog ich meine Sandaletten aus und streifte die von Oma Alwine aus weißer Baumwolle gestrickten Kniestrümpfe eilig ab.
Zuerst streckte ich den linken Zeh ins Wasser, anschließend den rechten Zeh. Da das Kleidchen schon zu Beginn meines Ausfluges Schaden genommen hatte, wollte ich jetzt doch achtsam sein und auf den Rest meiner Kleidung Acht geben. Langsam tastete ich mich vom flachen Rand bis in die Mitte des Baches vor. Dann setzte ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen und umging vorsorglich die großen kantigen Bachwacken, die mir doch allzu glitschig erschienen.
Ich entschied mich dann, eine Steinbrücke für eventuell weitere Bachbesuche zu bauen. Das würde ich leicht meinem großen Bruder nachbauen können, überlegte ich kurz, und fing sofort an Stein für Stein als Brücke aneinanderzureihen, um später den Bach als stolze Baumeisterin der Steinbrücke zu überqueren. Durch die große Kraftanstrengung kam ich allerdings schon schnell ganz schön ins Schwitzen, und ich entschied mich daraufhin, kurzerhand auch das lädierte Kleidchen abzulegen. Gerade in diesem Moment hörte ich die grantige Stimme meines Großvaters, der die Dorfstraße entlang kam und mich verärgert vom Brückelchen aus beobachtet hatte. Schnell hob ich mein Kleidchen auf und streifte es wieder über.
„Schick dich, Gina, und behalte schön dein Kleidchen an, das macht man nicht! Hat dir das deine Mutter nicht gesagt?", rief Großvater mir noch fragend zu.
Natürlich hatte Mutter mir das gesagt, doch es war gerade so herrlich warm, und ich wollte mir schließlich nur ein kleines Bad zur Abkühlung gönnen.
Doch das war jetzt vorbei, artig nickte ich meinem Großvater zu, er ging mit ermahnendem Zeigefinger in meine Richtung zeigend weiter seines Weges.
Na dann eben kein Bad, schmollte ich. Ich hüpfte und sprang weiter im kühlen Nass herum.
Die Wasserspritzer flogen bis an die andere Bachseite.

*

Plötzlich tauchte ein eigenartiges rosarotes Rinnsal auf, das mir von der anderen Bachseite unverhofft entgegenkam.
„Was ist den das?", fragte ich mich laut. „Ja, wo kommt denn das schöne farbige Wasser her?"
Eilig machte ich mich auf den Weg, um das rosarote Phänomen zu erkunden. Immer weiter in Richtung des ungewöhnlichen Wassers blickend stampfte ich durch den Bach, der wunderschönen Farbenquelle entgegen. Voller Begeisterung und glückstrunken hüpfte ich, da nur ich dieses rosarote Wasserspiel genießen durfte, im Bachlauf herum! Keiner hatte je von diesem schönen farbigen Wasser erzählt! Da war ich mir ganz sicher... Das wird mein Geheimnis bleiben! Niemandem werde ich das erzählen oder gar verraten.
„Das ist geheim, geheim, geheim!", rief ich begeistert laut aus und sprang wild im rosaroten Bach herum.
Während ich so herumtollte und hüpfte, verfärbte sich das Wasser weiter ins Rote hinein, mittlerweile war es ungewöhnlich dunkelrot. Ich hielt in meiner Hüpfbewegung inne und starrte gebannt auf den unheimlichen Farbwasserteppich, der mir jetzt langsam und unaufhörlich entgegen kam ... Plötzlich wurde aus meiner anfänglichen Begeisterung pure Angst, und ich rettete mich aus dem Bach ans Ufer.
Was ist denn das nur? Wo kommt denn das rote Wasser her? Ich starrte wie hypnotisiert in den Bach und beobachtete den sich nähernden und immer größer werdenden dunkelroten Teppich genau. Ein eigenartiges Fischgewimmel folgte dem Farbrinnsal und bewegte sich in und unter dem roten Wasserteppich.
Als dann plötzlich aus den dunklen Löchern am Ufer des Baches eine ganze Rattenfamilie herauskam und kreischend in Richtung Fischgewimmel hechtete, schaute ich angeekelt und erschrocken auf. Das war's dann - schnell weg! Da gab es kein Halten mehr für mich.
Das Wasserplanschen und Baden war mir jetzt endgültig verleitet. Hastig zog ich meine Kniestrümpfe über die nassen Füße, streifte meine Sandaletten an und hastete, ohne zurückzublicken, vom Bach weg heim in Richtung Mühleck.

*

Gerade als ich um Grewaschs Hausecke bog, erinnerte ich mich an das unliebsame Zusammentreffen auf meinem geheimen Schleichweg zum Bach mit der Kuh und ihren riesigen traurigen Augen. Jetzt war sie nicht mehr da! Eigentlich schade, dachte ich für mich so im Nachhinein. Ich schlich jetzt gebückt weiter um Grewaschs Hausecke, schließlich sollte niemand etwas von meinem heimlichen Ausflug zum Bach mitbekommen.
Wie ein Indianer auf dem Kriegspfad bewegte ich mich vorwärts. Kurz vor Grewaschs Kellerfenster hörte ich das Blut in meinen Ohren pulsieren und fing an zu zittern. Ich blieb stehen und holte laut Luft. Angst beschlich mein Inneres, und ich überlegte krampfhaft wie ich unbemerkt heim kommen könnte.
Da fiel mein Blick versehentlich ins Kellerfenster! Laut aufschreiend stand ich auf und rannte ohne Rücksicht darauf, dass man mich eventuell doch noch entdecken könnte, auf und davon.
Sofort erschienen meine Mutter und meine Geschwister auf der Gasse, ich rannte laut und hemmungslos schreiend in die ausgebreiteten Arme meiner Mutter. „Kind, Kind, was ist los, was ist mit dir?", hörte ich die besorgte Stimme meiner Mutter. Ich zitterte noch immer am ganzen Körper wie Espenlaub. Und ich versuchte ihr zu erzählen, was mich so erschreckt hatte. Stotternd brach es aus mir heraus. Ich stammelte nur noch einige Wortfetzen: „ Der - böse – Mann - ich habe den bösen Mann gesehen!" Andächtig und ängstlich dreinblickend flüsterte ich immer und immer wieder diese Worte. Liebevoll streichelte mir meine Mutter mit einem fürsorglichen Lächeln im Gesicht über den Kopf und sagte: „Na, Gina, was hatte ich dir denn gesagt, Kleines?" Schuldbewusst senkte ich meinen Kopf, ich erinnerte mich sogleich an ihre ermahnenden Worte bezüglich Grewaschs Kellerfenster. Mit einem leisen Seufzer stellte sie mich dann zur Rede. Auf meine roten Beine schauend seufzte sie erneut leise, dann fügte sie noch kopfschüttelnd hinzu: "Am Bach warst du auch, wie ich sehe! Warum folgst du mir nicht, wenn ich dir etwas sage, Gina? Das macht mich traurig, Kind. Von dem Riss in deinem Kleidchen möchte ich erst gar nicht reden." Ich schaute betreten zu Boden und sah meine Beine an. Sie waren total mit Blut verschmiert. Da erschrak selbst ich. Entschuldigend stammelte ich, dass es mir unerklärlich wäre, wieso meine Beine so aussähen, da ich mich ja nicht verletzt hätte! Meine schönen, vormals weißen Kniestrümpfe hatten jetzt unschöne dunkle und rote Flecken. Ich erschrak erneut und flüchtete mich wieder in die beschützenden Arme und den Schoß meiner Mutter.
„Ach Gina, hör doch, wenn ich dir etwas sage", wiederholte sie sich, wieder kopfschüttelnd. Sie streichelte mir weiter liebevoll über meine Stirn und Kopf. Dieses Gefühl der Geborgenheit nutzte ich für mich voll aus, ich drückte mich noch enger, gierig nach Streicheleinheiten suchend, an meine Mutter.
Alles war vergessen in diesem Moment der Zweisamkeit und Geborgenheit bei meiner Mutter.

*

„Aber Gina, Kleines, jetzt ist es genug... Komm, Liebes, ich erkläre dir, was passiert ist!"
Und endlich bekam ich die Erklärung zu den täglichen Ermahnungen, denen ich heute wieder einmal nicht gefolgt war. Ich hatte an diesem Tag meine Lektion erhalten. Mit offen stehendem Mund und übergroßen ängstlich blickenden Augen lauschte ich den Worten meiner Mutter. Jetzt erhielt ich endlich Antwort auf all meine Fragen bezüglich Grewaschs Kellerfenster, dem bösen Mann und dem rosaroten Wasser im Bach.
Das komische Tier mit den übergroßen traurigen Augen, die Kuh also, die angebunden an Grewaschs Hauswand geduldig wartend verharrte, befand sich jetzt ein Stockwerk tiefer in Grewaschs Keller. Allerdings portioniert... Und jeden Montag kam eine andere dran.
Der Blutteppich wurde von dem bösen Mann in eine Bodenöffnung gefegt und erschien dann wenige Augenblicke später im Bach. Das war die Erklärung, die ich an diesem Tag von Mutter bekam. Ich bekam riesige Augen und einen gewaltigen Schreck. Selbstverständlich mied ich ab diesem Tage Grewaschs Kellerfenster und Grewaschs Hausecke.
Der seltsame Eisenbügel an der Wand, der dort eingelassen war, an dem meistens ein dicker Strick herunterbaumelte, genau, jetzt war das klar. „Wieso hatte ich den Strick vorher nie beachtet?", fragte ich mich.

*

Beim Abendbrot saßen wir alle am Tisch. Meine Geschwister bissen schmatzend in ihre Wurstbrote. Ich saß andächtig da und schaute mein Abendbrot nur an. Wie durch einen Nebel hörte ich Mutter sagen: „Gina, iss doch endlich dein Wurstbrot auf!" Doch ich konnte nicht in das Wurstbrot hineinbeißen. Ich sah plötzlich wieder die großen traurigen Augen vor mir, in die ich am Nachmittag geschaut hatte, und dachte beschämt an den rosaroten Bach in dem ich übermütig, voller Freude herumgetollt war...
Ich hatte an diesem Tag meine Lektion gelernt und bevorzugte danach Marmeladenbrote ...

© HarmaRegina Rieth

Geschichten für meine *Enkelkinder*

I. Paulchen Knickohr / Paul Hoppel

II. Moritz-Küken von Ententeich

III. Frida-Mäuschen von Eichen

IIII. Das Weihnachtsgeheimnis

 

Im Jahre 2010 entsand meine ERSTE OsterGeschichte für meinen Enkelkind Paul ...

*Paulchen KnickOhr*

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Und das ist das Bild zu Paulchen KnickOhr...

Winterhauch im Frühling

Erlebnisse des kleinen *Hoppel Paulchen von Knickohr* 

Herrlich strahlte die Sonne über der Frühlingswiese. Seit dem Morgen reckten sich Krokusse, Gänseblümchen und Veilchen den wärmenden Strahlen der Sonne gierig entgegen. Den ganzen Tag strahlte die Sonne, bis zum Mittag durchbrach sie unentwegt die vor überziehenden Wolken und legte sich weiter über das kleine Wäldchen. Ab und zu wanderten weiche wollige Wolken schwebend leicht am Himmel vorüber, direkt über dem Köpfchen von Paulchen Knickohr.

Gerade zog wieder so eine fluffige weiche Wolke über Paulchen hinweg und er begann leise zu seufzen: „Wolkenschäfchen? Ach, was sage ich denn da... Die gibt es doch gar nicht! Man nennt sie doch nur Schäfchenwolken, umgekehrt? Das geht doch gar nicht. Was ist denn das für ein verrückter Gedanke."

Paulchen schüttelte schmunzelnd sein Köpfchen und hoppelte träumend weiter mit seinem Weidenkörbchen auf dem Rücken über die herrliche schon frühlingshaft duftende Wiese. Da ermahnte er sich und sprach laut: „Paul, Paul, du sollst doch zu Schnattergans an den Teich gehen und sie um einige Eier für Ostern bitten − und nicht an Wolkenschäfchen denken, oder dir gar eines wünschen! Das geht doch wirklich nicht!"

*

Doch der Gedanke an die Wolken ließ Paulchen fortan nicht mehr los. Im Trödelschritt machte er sich weiter auf den Weg zu Schnattergans in Richtung Ententeich. Er sah sogleich die Mutter Schnattergans und fragte höflich, wie ihm von seiner Mutter aufgetragen wurde, nach einigen Eiern, die sie, wenn es ihr denn möglich sei, zurzeit entbehren könne. Er stellte seinen kleinen Weidenkorb ab und Mutter Schnattergans legte ihm vorsichtig vier Eier in den Korb. Mit den ermahnenden Worten: „Paulchen, gib Acht auf die Eier!" schickte sie ihn los.
Dabei fuhr sie Paulchen freundlich und zärtlich mit ihrem Flügel mütterlich über sein Köpfchen.
Hastig nickte Paulchen und versprach ihr sofort, die rohen und äußerst kostbaren Eier nicht aus den Augen zu lassen, sie unbeschadet auf dem direkten Wege nach Hause zu bringen und unversehrt abzuliefern.
Auf dem Rückweg von Schnattergans ging Paulchen ganz langsam, damit den kostbaren Eiern nichts passieren könne, wieder Heim, als er plötzlich an einem komischen braunen Etwas, das in einem kleinen Busch des Weges hing, abgelenkt wurde. Neugierig betrachtete Paulchen das sonderbare Etwas im Busch von allen Seiten.

*

„Nanu, so etwas habe ich ja noch nie gesehen. Was ist denn das?"
Er hob sein Näschen, um noch besser daran schnuppern zu können, um so eventuell hinter das Geheimnis dieses komischen Etwas zu kommen.

Paulchen hob seinen Kopf. Seine kleinen Nasenflügel vibrierten, während er schnüffelte und schnüffelte, als urplötzlich die merkwürdige braune Hülle in Bewegung geriet und aufzuplatzen drohte.
Mit einem Satz sprang Paulchen wieder zurück. In diesem Augenblick krachte es und es machte leise „Flutsch". Dieses Geräusch galt es eigentlich zu vermeiden, dachte Paulchen betroffen und blickte zu seinem kleinen Weidenkorb, zu den vormals kostbaren Eiern. Doch er war nur für einen kleinen Augenblick abgelenkt. Als er wieder nach dem „Komischen-Etwas" blickte, quoll nun weiter irgendetwas Weißes aus seinem Inneren heraus.
Erschrocken stürzte Paulchen in diesem Moment rückwärts aus dem Strauch. Fluchtartig stolperte er vom Busch weg, hoppelte in Richtung Frühlingswiese und verkroch sich verängstigt hinter den Frühlingsblumen.

*

„Vorsicht, das ist gefährlich Paul!", rief er sich erschrocken zu. Das war knapp! Neugierig besah er sich aus der sicheren Entfernung das komische Etwas.

Ganz allmählich beruhigte er sich wieder und schob sich erneut in die Richtung des braunen komischen Etwas. Er kroch vorsichtig in Richtung Busch und blinzelte, sich hinter einem Zeig versteckend, das nun weiße Etwas staunend an. Und da, plötzlich ist von dem braunen Etwas überhaupt nichts mehr da! Das heraus quirlende knittrige Weiße wurde immer und immer größer, es schob sich weiter und weiter aus seiner braunen Hülle hervor.

Paulchen saß noch immer wie gebannt auf seinem Hosenboden hinter dem Buschzweig und staunte, als plötzlich ein herrlicher weißer Schmetterling seine Flügel aufspannte, seine Beine streckte und mit erhobenen Fühlern in Richtung Paulchen starrte.

"Oh, wie schön", flüsterte Paulchen und wartete gespannt darauf, was als Nächstes passieren würde. Der weiße Falter richtete seinen Kopf stolz in Richtung Paulchen, schüttelte erneut seine Flügel und hob mit sanftem Flügelschlag ab in Richtung Himmel. Paulchen hockte noch immer hinter dem Zweig und blickte verdattert dem sonderbaren Wesen, das sich vor seinen Augen aus dem komischen Etwas herausgepresst hatte, nach.

Oh, war das schön gewesen, dachte Paulchen bewundernd. Seinen Blick gen Himmel gerichtet, beobachtete Paulchen wie das unbekannte weiße Wesen zu seinen geliebten Wolkenschäfchen flog und letztendlich mit ihnen verschwand.

Doch da, urplötzlich, wurde Paulchen aus seinen Gedanken heraus gerissen. Aufgeregt flatternd kam Mutter Schnattergans auf Paulchen zu gerannt und rief:

„Paul..., Paulchen, mir ist was ganz, ganz, ganz Schlimmes, etwas Furchtbares passiert!"

Eilig kam Schnattergans auf Paulchen zu gestürzt und schüttelt ihn.

"Wo sind die Eier, Paul?" Außer Atem und nach Luft ringend schüttelte sie aufgeregt wieder und wieder das ahnungslose Paulchen durch. Paulchen erinnerte sich sofort an das eigenartige Knackgeräusch von vor wenigen Minuten. Schuldbewusst schaute er Schnattergans an und stotterte: "Da, da, da ist mein Körbchen, und da sind auch die Eier!", und zeigte drauf.

"Gott sei Dank", rief Mutter Schnattergans.

"Warum?", fragte Paulchen sofort."

„Ach, Paul, ich schäme mich so. Ich habe dir die falschen Eier mit gegeben!"

"Wieso?", fragte Paulchen wieder, an das seltsame, knackende Geräusch im Weidekörbchen von vorhin denkend.

*

Ganz langsam und schuldbewusst schob Paulchen nun sein Weidenkörbchen hinter seinem Rücken hervor. Ein greller Aufschrei von Mutter Schnattergans hallte über die Frühlingswiese, als sie in das Weidenkörbchen blickte. Paulchen legte sofort vorsorglich seine Ohren hinter seinen Kopf. Ängstlich starrte er nun die aufgewühlte Mutter Schnattergans an.

Doch siehe da, sie beugte sich zu Paulchen herunter und streichelte ihn wieder, diesmal sanft und fürsorglich, mit ihrem Flügel über sein Köpfchen. Verdutzt wagte Paulchen nun auch einen Blick ins Weidenkörbchen. Er traute seinen Augen nicht, was er da sah!? In seinem Weidenkörbchen saßen, dicht aneinander geschmiegt, vier kleine piepende Schnattergänschen.

"Ach, Paulchen, das hast du aber gut gemacht! Ich darf mir gar nicht vorstellen, was geschehen wäre, wenn die Eier schon gekocht worden wären!"

Wild gestikulierend erzählte Mutter Schnattergans, dass sie die Eier verwechselt und ihm versehentlich die gebrüteten Eier mitgegeben hatte. Jetzt endlich verstand Paulchen die Aufregung und ihm wurde klar, wenn er das zauberhafte Wesen nicht beobachtet hätte, wäre ...
Über die Folgen wollte er lieber nicht nachdenken. Er hob sein Körbchen auf und ging eilig Heim.

Als er zu seiner Mutter in die Stube kam, sprudelte es geradezu aus ihm heraus. All seine Erlebnisse und neu gewonnenen Eindrücke erzählte er ihr brühwarm. Er war gar nicht zu beruhigen. Mit einem liebevollen Blick streichelte ihm Mama Hoppel über den Kopf und sagte leise:
„Paulchen da hast du heute die Geburt eines Schmetterlings miterlebt und die Geburt von kleinen Gänschen. Wenn das nicht etwas Wunderbares ist!"

*

Nachdenklich schaute Paulchen in Richtung Tisch, zu den darauf liegenden Eierfarben und dann zum Herd, zu dem kochenden Wassertopf und dachte, da haben die Kleinen aber Glück gehabt.
„Und was ist jetzt mit Ostereierfärben? Die Menschenkinder warten doch ...! Gibt es jetzt kein Osterfest?"

„Doch, Paulchen, wir backen ein ganz großes Backblech Mürbeteig und stechen aus dem Teig dann Ostereier aus, bemalen sie mit Zuckerguss und bestreuen sie mit bunten Zuckerperlen. Und wenn du magst, kannst du auch einen Schmetterling probieren. Den darfst du dann ganz alleine dekorieren. Darüber freuen sich die Menschenkinder ganz bestimmt", versicherte Mama Hoppel ihrem kleinen Paulchen lächelnd.

© HarmaReginaRieth (2010)

Für meinen Enkel Moritz *Moritz Küken von Ententeich*

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Und das ist das Bild zu "Moritz Küken von Ententeich"

*Aufregung am Ententeich*

Paulchen von Knickohr und Moritz Küken von Ententeich

Seit etlichen Stunden war ein leises Piepen im Dickicht des Dornenstrauchs zu hören, das zuweilen gar weinerlich klang und immer leiser zu werden schien. Paulchen, das kleine Häschen, stellte seine Lauscher auf und drehte sich nach allen Seiten suchend um. Doch es konnte nichts sehen. Es zuckte kurz mit den Achseln und folgte dann dem Rufen seiner Mutter, endlich zum Abendbrot ins Haus zu kommen.
Sofort erzählte Paulchen Mama Hoppel, dass er so ein komisches Piepen im Gebüsch gehört hätte, aber nichts zu sehen gewesen wäre. Der Klang sei so sonderlich gewesen, so ein komisches leises Piepen. Doch die Mutter ermahnte Paulchen, bei Tisch still zu sein. Er solle endlich in Ruhe sein Abendbrot zu Ende essen.
Aufgeregt erwiderte Paulchen: „Aber Mama, wenn da jemand Hilfe braucht, kann ich doch nicht ruhig hier herum sitzen und seelenruhig mein Brot essen. Das kann ich wirklich nicht, Mama!"
Führsorglich streichelte Mama Hoppel über das Köpfchen von Paulchen und flüsterte zärtlich: „Du hast Recht, Paulchen, wir gehen nachsehen, was da so merkwürdig piept!"
Gemeinsam gingen sie vor die Tür und schauten sich suchend um. Doch sie konnten nichts sehen, oder gar erkennen, was da so eigenartig klang. In der Zwischenzeit war das Piepen verstummt.

*

Paulchen ging zu Bett, aber schaute noch immer nachdenklich drein. „Was war das nur, was war das nur ...?" murmelte Paulchen vor sich hin. Dann blickte er aus dem kleinen Fenster zum Dornenbusch und hoch zum Mond. Er war noch immer in Gedanken bei dem seltsamen Geräusch und machte sich Sorgen um das piepende „Etwas" mit dem jämmerlichen Klang in der Stimme.

Kugelrund war der Mond an diesem Abend und schien geradewegs in Paulchens Zimmer. Alles war hell erleuchtet, fast schon taghell. Da hörte er wieder das eigenartige Geräusch! Was ist das nur?
Leise zog er sich die Puschen an, schlich an der schlafenden Mutter vorbei, zog noch sein Jäckchen über und ging erneut in Richtung Dornengestrüpp.

„He, Mond, scheine mal hier her, ich kann sonst nichts sehen!", rief Paulchen dem Mond aufgeregt zu. Der Mond blähte sich weiter auf und strahlte so hell er nur konnte.

„Was willst du eigentlich, kleiner Hoppel?", fragte der Mond.
„Na, du scheinst doch für alle Geschöpfe der Erde in der Nacht, oder? Erzähl mir, hast du nicht auch das Piepen hier gehört?"

„Nein, Hoppel, das habe ich nicht", antwortete der Mond brummelig. „Aber – warte, die Sonne hat mir am Abend eine gar ungeheuerliche Geschichte erzählt, was sich da am frühen Nachmittag Schreckliches zugetragen hat. Da kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Es gibt ja scheinbar nichts, was es nicht gibt", brummelte der Mond nachdenklich vor sich hin.

„Was meinst du damit, lieber Mond? Erzähl!", rief Paulchen dem Mond neugierig zu und spitzte dabei gespannt seine Ohren.

„Also, da hat mir die Sonne beim Schichtwechsel am Abend erzählt, dass am Teich die Teichente Ada ganz aufgeregt am Vormittag aus dem Schilf gestürzt sei. Sie sei mit lautem Geschnatter und hektisch flatternd über den Teich, über das Feld, über die Wiese in Richtung Waldsee gerannt."

„Ja, und!?"

„Na, als die Teichente aus dem Schilf weggestürmt war, hatte sie in ihrer Aufregung vergessen, dass ein gebrütetes Ei im Nest nunmehr schutzlos und unbeaufsichtigt liegen geblieben war. Sie hatte es einfach vergessen. Ganz ohne Schutz lag es nun da!"

„Und dann?"

„Die kleine Familie Mausspitz ging gerade des Weges, als sie das allein gelassene Ei sahen und ..."

„Und was passierte dann...?"

„Die machten einen Kreis und wuchteten gekonnt das Ei gemeinsam hoch. Sie versuchten es sogleich eiligst wegzuschleppen. Mama Mausspitz habe laut gejubelt über die unverhoffte leckere Mahlzeit. Sie meinte, die ‚Ei-Portion' reiche für die nächsten Tage, und der Proviantvorrat und das tägliche Essen seien damit gesichert."

„Oh, wie schlimm!"

„Warte Hoppel, es kommt noch schlimmer! Als die Familie Mausspitz auf dem Nachhauseweg war, schlich der Marder Lutz ihnen hinterher, erzählte mir die Sonne. Er hatte den Diebstahl und das Geschehen genau verfolgt."

„Ja ..., und wie ging es weiter mit dem Ei?"

„Na, das kannst du dir doch denken. Er fauchte sie furchterregend an und jagte die Familie Mausspitz in die Flucht. Alle sprangen verängstigt zurück ins Mauseloch."

„Oh je, oh je," murmelte Paulchen, „das ist wirklich schlimm. Und was ist dann passiert? Sag schon, lieber Mond! Was hat dir die Sonne noch erzählt?", drängelte Paulchen.

„Na ja, der Marder habe das Ei vor sich hergerollt, und während der ganzen Zeit wurde auch von ihm so ein leises Klopfen und Knacken vernommen. Wie schon bei den Mäusen, als diese das Ei über den Kopf weg geschleppt hatten: Klopf-Knack – Klopf-Knack! Eben so ein Knack-Klopf-Geräusch!"

"Klopfen und Knacken, so hörte sich das nicht an, was ich am frühen Abend im Dornenbusch gehört habe. Aber sag, wie ging es dann weiter mit dem gestohlenen Ei?"

„Die Sonne erzählte, der Fuchs Sigisbert habe den Marder erspäht, ihn dann gar arglistig in ein Gespräch verwickelt und ihm sofort angeboten, beim Transport des Eis behilflich zu sein."

„So ein Schlawiner!", meinte Paulchen empört, „Typisch Fuchs! Schlau, schlau, der Gemeine!"

„So ist das abgelaufen. Genauso hat mir die Sonne das erzählt."

„Und dann?", fragte Paulchen mit erhitztem Köpfchen. Er konnte es fast nicht fassen, was da alles mit dem Ei geschehen war.
„Dann, na dann stürzte sich der Bussard Baldur im Sturzflug über den Kopf des Fuchses hinweg auf seine Beute, die der Fuchs erschrocken fallen gelassen hat."

„Oh Gott, oh Gott!", rief Paulchen da entsetzt. „Da ist das Ei aber bestimmt kaputt gegangen, oder?"

„Nein, die Sonne sagte, dass der Bussard sich das Ei noch im freien Fall gekrallt hätte."

„Das ist ja wirklich schlimm! Das arme Ei!"

„Ja, ja, das kannst du laut sagen!"

„Und dann? Hat der Bussard das Ei ins Nest zurück gebracht?"

„Nein, der Bussard sei hoch in den Wolken verschwunden und habe es dann über dem Wäldchen, in seinen Krallen, fortgeschafft."

„Ach, herrje", flüsterte Paulchen andächtig und dann noch leiser: „Schlimm, schlimm."

In diesem Augenblick kam wieder eine leise piepende Stimme aus dem Dornenbusch.

„Schnell, Mond, scheine in den Dornenbusch. Da ist es wieder, das seltsame Geräusch!"

Der Mond bündelte sofort sein Mondlicht und warf ihn in den Dornenbusch.

„Aua, aua!", hörte man in diesem Moment jemanden leise piepen. Paulchen stellte schnell wieder seine Lauscher hoch. „Das kommt doch aus den Dornensträuchern, da − direkt neben unserem Häuschen −, aus dem Dickicht", flüsterte Paulchen aufgeregt. „Als kleiner Hoppel muss man ganz vorsichtig sein, hat meine Mama immer zu mir gesagt." Entsprechend vorsichtig schaute sich Paulchen um.

Er lugte jetzt erneut, dank des hellen Mondenscheins, durch die dichten Zweige des Gestrüpps. Da erspähte er...
„Oh, was ist denn das?" Neugierig blickte Paulchen auf das kleine piepende Etwas. Bloß schnell weg, dachte er.
Doch sie hatten einander schon entdeckt: Hoppel Paulchen das Küken, und das Küken Hoppel Paulchen.

Erschrocken blickten sie einander mit großen Augen an.
Inmitten des Dornenbusches im Geäst hing eine halbe Eierschale mit einem kleinen Deckelchen.

„Aber wer bist denn du?" fragte Paulchen das flauschige, im Mondschein goldgelb glänzende Feder-Flausch-Knäuel mit den lustigen hellblauen Augen.

„Ich? Ich bin Moritz, Moritz von Ententeich!" antwortete das kleine flauschige Etwas.

„Hallo, Moritz von Ententeich, wie kommst du denn hier her?"

„Na, das hat dir doch der Mond gerade erzählt!"

„Wie? Was? – Du bist das Ei?"
„Nein, ich war im Ei!", rief Moritz entrüstet
„Ach, Moritz, da hast du aber heute ganz schön was erlebt. Ich bin froh, dass ich so etwas noch nicht durchgemacht habe", meinte Paulchen bewegt.

„Ich zieh dann mal weiter", verabschiedete sich der Mond von seinen kleinen neuen Freunden. „Tschüss, Paulchen und Klein-Moritz, bis dann!"

Paulchen saß vorm Dornenstrauch, und Moritz saß noch immer im Dornenstrauch in seiner halben Eierschale und lugte neugierig über den Eierschalenrand.
„Halt, Mond! Du kannst doch nicht einfach weiter ziehen! Du musst mir helfen und Klein-Moritz aus dem Dornengestrüpp holen und befreien!"

„Aber Paulchen, wie soll das denn gehen?", fragte der Mond zurück.

„Ganz einfach, lieber Mond. Du musst dich jetzt ganz dünn machen und mit einem von deinen Mondscheinstrahlen in den Dornenbusch scheinen. Dann kann Klein-Moritz über deinen Lichtstrahl herüber klettern."

Der Mond holte tief Luft und zog seinen kugelrunden Bauch ein, sodass in diesem Moment nur noch eine Mondsichel am Himmel zu sehen war. Ganz vorsichtig schob er die Sichel in den Dornenstrauch und drückte alle Dornen zur Seite. Dann legte er den Sichelstrahl direkt an die Eierschale und Klein-Moritz krabbelte langsam auf die Mondsichel. Paulchen bewunderte die Rettungsaktion des Mondes und war voll des Lobes über diese großartige Heldentat. Da rief der Mond Paulchen zu: „Hoppel Paulchen, setz' dich zu Küken Moritz auf meine Sichel. Ich zeige euch die Tierwelt der Nacht!"
Sofort krabbelte Paulchen zu Moritz auf die Sichel. Beide hielten sich eng umschlungen, und dann ging es los mit dem Nachtausflug übers Wäldchen.

Lautlos wanderte der Mond mit Paulchen und Klein-Moritz am Nachthimmel entlang, und sie staunten, was da des Nachts alles zu sehen war ...

© HarmaReginaRieth  (2011)

Enkelkinder Paul und Moritz

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Das Bild zur Geschichte von Moritz und Paul ...

Nachtwanderung

Die Erlebnisse der Nacht von Küken Moritz und Hoppel Paulchen

Lautlos wanderte der Mond mit Paulchen und Moritz weiter am Nachthimmel entlang. Und die Beiden strahlten begeistert um die Wette, was sie da des Nachts alles zu sehen bekamen...
„Danke, lieber Mond! Danke, lieber Hoppel!", freute sich Klein-Moritz über seine geglückte Befreiung aus dem stacheligen Dornenstrauchgefängnis. Klein-Moritz blickte den alten Mond und Hoppel Paulchen nochmals dankend an. Vom geretteten kleinen Moritz ging eine ganz ungewöhnliche Ausstrahlung aus. Jeder hatte sogleich das Bedürfnis, ihn zu beschützen, so zart wie er war. Und er verzauberte mit seiner Unbekümmertheit Mond und Hoppel Paulchen gleichermaßen.
„Habt ihr schon einmal die Welt von ganz oben gesehen?", fragte der Mond den kleinen Moritz und Hoppel Paulchen.
„Nein, das haben wir noch nicht", erwiderten Hoppel Paulchen und Küken Moritz gleichzeitig wie aus einem Mund.
„So richtig fliegen kann ich eigentlich nicht", sagte das kleine Küken Moritz nachdenklich, da bin wohl noch zu klein dafür."
„Na, dann fliegt ihr jetzt mit mir mit, oder sagen wir eher, ihr wandert mit mir mit, am nächtlichen Himmel entlang. Haltet euch gut fest! Dann wandern wir ein paar Runden über Wald und Wiesen."

Küken Moritz und Hoppel Paulchen hielten sich fest und kletterten noch ein Stückchen höher in die Mondsichel, um eine bessere Aussicht zu haben. In einem großen Bogen wanderte der Mond am Himmel gemächlich in die Nacht hinein, mit seinen zwei kleinen Gästen. Moritz und Paulchen jauchzten vor Freude und konnten sich fast nicht beruhigen vor Begeisterung über dieses schöne Nachtausflugerlebnis. Der Mond beobachtete die Beiden und schmunzelte.

„Da! Seht ihr? Da drüben im Astloch der alten knorrigen Eiche? Da ist die Eule Alrun mit ihren Jungen. Gleich wird sie wie jede Nacht zum Futterflug starten. Ihr glaubt nicht, was die Kleinen für ein Specktakel machen, bis ihre Mutter mit einer Futterladung wieder im Astloch zurück ist."

Moritz und Paulchen blickten die kleinen Nackedeis mit dem spärlichen Flaum am Körper, die zusammen gekuschelt im Astloch saßen und ihre kleinen Schnäbel aufrissen, interessiert an.

„Na, da hat aber Eulenmutter Alrun noch ganz schön was zu tun, bis sie alle ihre kleinen Schreihälse satt hat!", meinten die beiden Nachtwanderer.

Der Mond wanderte weiter in einer leichten Kurve, und es wurde sogleich die nächste Kinderstube ins Visier genommen.

Eine Siebenschläferfamilie machte sich gerade auf den Weg zur Vorratsbeschaffung und zum nächtlichen Futterfassen, als ein dicker Maikäfer vorbeischwirrte und laut brummte.

Moritz und Paulchen waren im ersten Moment erschrocken über dieses dumpfe Brummgeräusch des Maikäfers. Der Maikäfer, der ein ganzes Geschwader von Käfern hinter sich her zog, verursachte diese nächtliche Störung.
Doch dann lachten sie über den dicken Brummer, der achtlos mit seinem Gefolge an ihnen vorbei flog. Schmunzelnd und gedankenverloren summte nun der Mond das uralte Lied „Maikäfer flieg ..."

Moritz und Paulchen stimmten schon nach der zweite Strophe fröhlich mit ein. Ganz unverhofft wurde es mit einem Male laut, sodass den beiden Nachtausflüglern fast die Ohren wegflogen. Hoppel Paulchen legte sofort seine langen Lauscher zum Schutz über das kleine Küken Moritz. Klein-Moritz wurde so von der vollen Dröhnung der grässlichen Schreierei einigermaßen verschont.

„Was ist da los?", riefen Moritz und Paulchen gleichzeitig in Richtung Mond: „Kannst du uns sagen, was das für ein Geschrei ist?"

„Ach, das sind die Jungen von Marder Lutz, die Halbstarken. Seine Jungen balgen sich wie die Kesselflicker „Marder-Bande". Die machen die Nacht zum Tage. Diese Raufereien dauern die ganze Nacht hindurch. Die werden schon noch ruhiger. Das ist reines Kräftemessen, denke ich mal. Nächsten Monat sind die ruhiger, glaubt mir. Das ist in jedem Frühjahr so. Die streiten sich um die Mädels, daher das laute Pfeifen und Trällern. Das ist nur Wichtigtuerei von Lutz' Blagen. Der war früher auch nicht anders!"

„Ach so", meinten dann Moritz und Paulchen, „also wie das Gerangel unter Geschwistern".

"Ja, da habt ihr Recht, so könnte man es auch sagen", antwortete der Mond lächelnd.

In einer leichten rechts Kurve rutschten Moritz und Paulchen unverhofft weiter in der Mondsichel ein Stückchen nach vorne und fast wären sie herunter gefallen, doch der Mond steuerte schnell in die entgegensetzte Richtung, wodurch die Beiden in der Mondsichel sicher sitzen blieben. Sie kamen direkt zum alten Eichenwald und der Mond schien von allen Seiten durch. Es war eine wundersame Nachtstimmung mit dem silbernen Mondschein, der durch den Eichenwald schien.
„Wie im Märchenwald", flüsterten Klein-Moritz und Paulchen andächtig. Und da sahen sie die beiden kleinen Rehkitze, die zögerlich und ganz langsam durch den Wald gingen. Der Mond schien ihnen geradewegs vor die Füße, und sie blickten mit ihren großen braunen Augen den Mond dankbar an. Er hatte sofort vermutet, dass sie sich verlaufen hatten und zeigte ihnen den sicheren Heimweg.

„Sag, Mond, woher hast du gewusst, dass sie sich verirrt haben?", fragte Moritz.

„Ich habe es in ihren ängstlichen Augen gesehen, denn es kommt öfter vor, dass sich die Kitze verlaufen", antwortete der Mond mit fürsorglicher Stimme. „Dafür bin ich doch des Nachts am Himmel – um den Verirrten den Weg zu leuchten!"

„Ah, das ist aber nett von dir, lieber Mond", waren sich Moritz und Paulchen einig.

Als sie nun um die Ecke am Ahornbaum blickten, sahen sie die alte Füchsin Freia. Sie murmelte verärgert und verkniffen einige unverständliche Worte in ihren weißen Bart. Und da, endlich, konnten Moritz und Paulchen hören, was sie sagte:

„Der Gauner, der alte Schlawiner! Wenn ich den erwische, dann bekommt er aber was zu hören!"

Moritz und Paulchen gingen bei diesen Worten sofort in Deckung. Reine Vorsichtsmaßnahme. Noch wussten sie nicht, wer gemeint war mit „alter Gauner" und „Schlawiner". Doch es klärte sich sofort auf. Die Füchsin meinte ihren Mann damit, der sich das Haushaltsgeld unter die Fuchspfote gerissen hatte und nunmehr das Geld im Gasthof ‚Alte Reblaus' vertrank. Und was sie dann sahen, konnten sie fast nicht glauben. Der Mond drehte sich kurz um und grinste. Sogleich stolperte der alte Fuchs, da der Mondschein dadurch ebenfalls abdrehte und es plötzlich Stockduster wurde. Der Fuchs fiel über eine Baumwurzel und flog kopfüber in den heimatlichen Fuchsbau. Auch Moritz und Paulchen konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen und meinten einstimmig: „Das hat er sich aber auch verdient!"

Der alte Fuchs purzelte direkt seiner lieben Füchsin Freia vor die Füße und erhielt sofort eine Standpauke, über das eigenmächtige Entnehmen des Haushaltsgeldes und dessen Folgen.

„Na, Moritz und Paulchen, wie gefällt euch die Nachtwanderung?", fragte der Mond seine kleinen Begleiter.

„Gut!", riefen Moritz und Paulchen gemeinsam begeistert und freudig aus. Gerade wollten sie noch über der Wiese eine letzte Runde drehen, als ihnen ein Schwarm von Glühwürmchen entgegenflog.

„Das sieht ja toll aus!"; riefen Moritz und Paulchen zeitgleich.

Die Glühwürmchen flogen einen Kreis nach dem anderen und hinterließen herrliche Lichteffekte am nächtlichen Himmel.

Der Mond lachte und sagte:„Das ist die Nachtschwärmergruppe ‚Blinkiblink. Sie üben für ihr nächstes Sommerfest!"

„Ach so!", riefen Moritz und Paulchen begeistert über das nächtliche Blinkiblink-Spektakel der Glühwürmchen.

„Aber ihr wisst ja, wenn es am schönsten ist, muss man nach Hause gehen!"

„Ja", antworteten Moritz und Paulchen, „das kann man so sagen."

„Dann bringe ich euch jetzt mal zu Muttern!", sprach der Mond fürsorglich.

Moritz und Paulchen umarmten sich herzlich und versprachen zum Abschied, sich zukünftig auf der Frühlingswiese zum Spielen zu treffen.

Der Abschied voneinander fiel Küken Moritz und Hoppel Paulchen sehr schwer, doch sie wollten ihre neue Freundschaft pflegen und sich regelmäßig weiter treffen.

„So, Hoppel, jetzt musst auch du zurück, bevor deine Mutter sich sorgt, wenn sie dich am Morgen nicht im Bett vorfindet."
Der Mond schwebte gemächlich weiter über den Eichenwald und hielt am Fenster von Hoppel Paulchens Kinderstube an.
„Mach's gut, Hoppel. Ab mit dir in dein Moosbett! Das war doch eine lange Nacht für euch Kleinen!", fügte er noch väterlich hinzu.

Hoppel Paulchen nahm Anlauf und rutschte mit Schwung über den Mondsichelschein durchs Fenster in sein Bettchen. Dort landete er direkt in der Mitte des Bettes. Er winkte dem Mond solange nach, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Paulchen schlief beseelt von den vielen nächtlichen Eindrücken in seinem kuscheligen Moosbett ein.

„Und jetzt du, Klein-Moritz!"
„Oh ja, ich möchte endlich zum Teich zu meinen Eltern!" Aufgeregt hüpfte Küken Moritz auf dem Mondsichelschein herum, voller Vorfreude, endlich wieder ins Nest zurück zu kommen.

Der Mond drehte sich einmal um die eigene Achse und machte sich auf den Weg in Richtung Ententeich. Am Ententeich angekommen, sahen sie die Ente Ada, die weinerlich klagend in die Dunkelheit nach ihrem Ei rief. Der Erpel Veit versuchte sie zu trösten und sprach ihr unaufhörlich Mut zu. Und endlich erfuhren der Mond und Klein-Moritz, was sich zugetragen hatte am frühen Vormittag, als Ente Ada das Nest so hektisch verlassen hatte ...

Veit hatte Ada, da sie schon gar so lange auf ihrem gemeinsamen „Wunsch-Ei" brütend verharrt hatte, eine Seerose am Waldsee pflücken wollen. Doch er hatte sich in den Schlingen der Seerosen unter Wasser verheddert und wäre beinahe ertrunken. Wäre ihm da Ada nicht zur Hilfe geeilt. Als sie zum Nest zurückgekehrt waren, war kein Ei mehr da gewesen.

Der Mond blickte zu Küken Moritz und meinte dann väterlich zum Abschied: „Siehst du Klein-Moritz, es klärt sich alles auf! Pass auf,

ich bringe dich jetzt ins Nest zurück."

Der Mond legte nun seinen Sichelschein direkt an Entenmama Adas Flügel an. Mit einem Rutsch rutschte Klein-Moritz in das Nest zu Mama Ada unter den schützenden Flügel. Papa Veit und Mama Ada umschlossen sofort ihren kleinen Liebling Moritz. Sie kuschelten sich zufrieden aneinander. Unendlich erleichtert herzten sie sich, bis sie endlich gemeinsam beruhigt in den Schlaf fanden. Den glücklichen Seufzer der kleinen Entenfamilie hörten alle Waldbewohner in der Stille der Nacht bis ins nahe gelegene Dorf.

Am nächsten Tag erzählte man sich im Dorf die Geschichte über den eigenartigen Mond der letzten Nacht: Vom Mond, der vom Vollmond in nur wenigen Minuten zur Mondsichel geworden war und später wieder als Vollmond auftauchte. Niemand hatte eine Erklärung für dieses Phänomen am abendlichen Himmel.

Nur Paulchen von Knickohr und das kleine Küken Moritz von Ententeich kannten das Geheimnis.

© HarmaReginaRieth (2012)

 

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Frida-Mäuschen  von Eichen  (Fridi)

Ganz langsam am frühen Morgen hoben alle Wiesenblumen ihre Köpfe gen Himmel und reckten sich langsam den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen. Dabei schüttelten sie sich leicht und warfen die glitzernden Tautropfen, die sich im Morgengrauen an sie geheftet hatten, hastig ab. Stolz mit erhobenem Blütenkopf standen die herrlich duftenden Wiesenblumen über die ganze Frühlingswiese verstreut da. Allmählich bewegten sich die Blütenköpfe auch in alle Himmelsrichtungen. Sie erkundeten neugierig, wer sich über Nacht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft noch alles auf der Frühlingswiese angesiedelt hatte. Denn wie jeden Morgen hatten sich wieder neue Blumen dazugesellt. Täglich schossen sie wie Pilze aus der Erde hervor. Da kam es schon vor, dass man unverhofft von einer Schar Gänseblümchen oder Löwenzahn oder Schlüsselblumen umzingelt wurde.
Doch dem herrliche Blütenmeer des Wiesenschaumkrauts machte das auch an diesem Morgen nichts aus. Es freute sich, wenn die Wiese des Morgens in voller Blütenpracht den Tag begrüßte und so viele verschieden Blüten die Wiese zierten. Alle genossen die Frische des Morgens, die klare Luft und den herrlichen Sonnenaufgang. Sie warteten ungeduldig auf den kommenden Frühlingstag und standen erwartungsvoll und stolz da.

Einige Tiere, die in der vergangen Nacht unterwegs gewesen waren, waren gerade auf dem Heimweg. Andere Nachtwanderer schlichen noch heimlich um die Bäume, ehe sie endlich nach Hause fanden.
Alles war in Aufbruchstimmung! Endlich, der Tag kam mit herrlichem Sonnenschein...

Doch da!
Plötzlich fingen die Blumen an zu zittern, sie hatten augenscheinlich große Mühe, ihre prachtvollen Blütenköpfe, auf dem Blütenstängel zu halten. Vorsichtig balancierten die Blüten ihre schweren Blütenköpfe aus, zuerst nach rechts, und dann gleich wieder nach links. Es galt den Blütenkopf auf dem Blütenstil zu halten und sich in der Balance zu behaupten, um nicht umzuknicken, das wäre das Schlimmste, was ihnen passieren könnte. Es wäre folglich ihr Ende.

Das Zittern der Erde kam immer näher, gleichzeitig hörte man eine fröhliche Stimme singen, zu dem ungewöhnlichen Gezittere der Erde und dem dröhnenden Gepoltere. Ganz deutlich konnte man nun auch Wortfetzen hören, da die fröhliche Stimme eilig immer näher zu kommen schien.
Und da war sie nun, die Stimme mit dem eigenartigen Lied und lauten Gekrächze ...
„Hoppel in der Grube, saß und schlief, saß und schlief, armer Hoppel bist du krank, dass du nicht mehr hoppeln kannst, Hoppel hop – Hoppel hop...!" Bei jedem Hoppel-hop-Ruf wackelte die Wiese erneut. Alle Blumen wankten hin und her.
Unruhig und ängstlich verfolgten die Frühlingsblumen mit gemischten Gefühlen den frühmorgendlichen lauten Gesang und das störende Polternde mit dem unleidlichen Gehopse dazu. Und plötzlich war es so laut, dass der Gesang sie fast mehr ängstigte als das ungewöhnliche Zittern und Beben der Erde.
Erbost riefen einige Blumen über die Wiese: „Wer schreit hier so grässlich und lautstark herum? Und wer hoppelt hier so stark zu so früher Morgenstunde, dass die ganze Frühlingswiese bebt?"
„Wer macht hier so einen ohrenbetäubenden Krawall und so ein Remmidemmi um diese Uhrzeit?", beschwerten sich die Frühlingsblumen in Richtung Gepolter und Gesang. In diesem Moment hörte der Gesang – und auch das Zittern der Erde auf.

Kleinlaut gab eine leise Stimme Antwort.
„Ich..., ich, Paul war das. Das tut mir ehrlich leid, dass ich euch mit meinem Gehoppel und Gesang gestört habe. Entschuldigt bitte die Störung. Ich war die ganze Nacht so aufgeregt und habe kaum geschlafen vor Aufregung, da ich mich heute mit meinem neuen kleinen Freund, Klein-Moritz Küken von Ententeich, hier auf der Frühlingswiese treffe werde. Aber grässlich ist mein Gesang nicht, da bestehe ich drauf. Mama sagt immer, ich hätte eine Stimme wie eine Nachtigall! Und Mama muss das ja schließlich wissen, oder? Ich wollte mir auf dem Weg zur Wiese und bis Klein-Moritz endlich da ist nur die Zeit vertreiben.

„Ja, Hoppel, da ist auch nichts dagegen zu sagen", murmelten die Frühlingsblumen alle zusammen wie im Chor... "Aber muss das so laut sein? So früh am Morgen vertragen wir das nicht. Dann noch dieses unerträgliche Gepolter, einfach fürchterlich, ich zittere ja noch immer. Schau her, alles vibriert noch immer an mir. Da fällt man ja fast vom Stängel. Ein wenig Rücksicht auf uns Blumen wäre da schon angebracht, meinst du nicht auch, Hoppel?"

Schuldbewusst blickte Paul Hoppel zu Boden und entschuldigte sich erneut kleinlaut. Zielstrebig und eilig pirschte er sich dann ganz vorsichtig durch die Blütenpracht der Frühlingswiese und setzte sich unter die alte Eiche, die in der Mitte der prachtvollen Wiese stand. Ebenso eilig huschte noch ein Siebenschläfer an ihm vorbei und verschwand direkt in das große Astloch im Baumstamm. Dann war es wieder ruhig.
Paulchen saß geduldig am Baumstamm und wartete sehnsüchtig auf seinen kleinen Freund Moritz.
Er beobachtete die ersten Schmetterlinge, die den Weg herangeflattert kamen. Neugierig sah er ihnen bei ihrem Fangenspiel zu. Zur gleichen Zeit kam eine kleine Hummel um den Baumstamm der Eiche und setzte sich auf eine herrlich blühende Schlüsselblume. Sie naschte einige Blütenpollen – und schwups flog sie weiter zur nächsten Blüte. Das Spiel wiederholte die kleine Hummel, bis sie die ganzen Blüten der Schlüsselblumen auf der Wiese durchhatte.
„Na die mag wohl nur Schlüsselblumen", sinnierte Paulchen halblaut.
Plötzlich wurde es wieder unruhig auf der Wiese. Gräser wurden hastig zur Seite gedrückt, und die Blumen drehten eiligst vorsichtig ihre Stängel mit den Gräsern zur Seite.
Und siehe da! Klein-Moritz hatte sich seinen Weg durch das Blumenmeer der Wiese gebahnt und stand urplötzlich mit freudestrahlenden Augen vor Paulchen an der Eiche.
Überschwänglich begrüßten sich die beiden Freunde und beratschlagten sofort, was sie denn nun unternehmen könnten, an diesem wunderschönen
Frühlingstag ...

Sie erzählten, was in den letzten drei Tagen alles passiert war, seit ihrem Nachtausflug mit dem Mond. Paul erzählte vom Backspaß mit Mama Hoppel, Moritz erzählte von seinen ersten Schwimmversuchen auf dem nahe gelegenen Ententeich.
Beide waren so ins Gespräch vertieft, dass sie nicht das leise Stöhnen hörten, das sich allmählich in ein leises Schimpfen wandelte...
„Hey, Moritz, kneif mich nicht so!"
„Wieso, Paul, das war ich nicht! Das wollte ich gerade dich fragen, Paul, warum du mich kneifst", antwortete Moritz entrüstet.
„Kneif mich bitte nicht so, das mag ich nicht. Und außerdem bin ich da kitzelig an meiner Hinterpfote", sprach Paul verlegen.
Beide sahen sich ungläubig an und stellten sofort fest, dass sie sich eigentlich in dieser Sitzposition nicht kitzeln konnten...
Plötzlich schob sich zwischen den beiden verdatterten Freunden eine kleine Feldmaus durch.
„Rüber, geht endlich rüber – ihr beiden Märchenerzähler. Platz da, macht endlich Platz! Wo kommen wir denn hin, wenn sich jeder vor des anderen Behausung hockt und den Ein- und Ausgang versperrt. Typisch Hase und Ente, ohne Rücksicht sich einfach vor meine Tür gepflanzt. Und auch noch euer Herumgeplappere, ihr macht Krach wie Schnattergänse beim Eierlegen."
„Aber hallo, kleine Feldmaus, was soll das? Wir konnten doch nicht ahnen, dass du hier in der alten Eiche wohnst," sprach Hoppel ein wenig verärgert. Sofort pflichtete ihm Klein-Moritz bei und wiederholte die Worte von Paul mit wilder Gestik.
„Also Feldmaus, stell dich zuerst einmal vor, soviel Zeit muss sein, man möchte ja schließlich wissen, wer einen hier so früh des Morgens von der Seite anmeckert."
„Na, wenn's denn sein muss! Iiiiiiiichh..., ich bin Frida Mäuschen von Eichen!", tönte eine helle Stimme resolut zwischen Baumstamm und Baumwurzeln aus einer Bodenöffnung hervor.
„Ja, genau, ich bin Frida ohne „e", da lege ich großen Wert drauf, das ist wichtig, merke dir das, wenn du in der Hasenschule anfängst – und Namen richtig schreiben lernst! Du kleines Flauschknäuel, das gilt auch dir, merke auch du dir das", sprach Frida Klein-Moritz sogleich an.
Verdutzt blickten Paul Hoppel und Klein-Moritz sich an, sie mussten unwillkürlich lächeln, über soviel Selbstbewusstsein der kleinen Feldmaus, mit Namen Frida Mäuschen von Eichen.
„Äh, sprach Frida zögerlich, und Freunde nennen mich einfach nur Fridi oder Fridi-Maus!" Und Frida lächelte beide Türbesetzer fröhlich an. Verschmitzt grinste sie und sprach ruhig weiter:
„Aber, wenn ihr beiden schon mal hier vor meiner Tür herumlungert, könntet ihr mir doch eigentlich behilflich sein. Helft mir bitte meine Vorratskammer für den kommenden Winter zu füllen. Wie wär's, Jungs? Habt ihr Zeit, mir zu helfen?"
Paul und Klein-Moritz sahen Feldmaus Frida ungläubig an und antworteten aus einem Munde: „Wir sind hier, um zu spielen und nicht um zu arbeiten! Was denkst du dir eigentlich, das ist doch dein Vorrat, dein Winterfutter, deine Arbeit ..., ist doch logisch!", fuhren die beiden Freunde fort. Frida zog sogleich beleidigt eine Schnute.
„Aber wenn ihr eine Belohnung erhalten würdet, würdet ihr mir schon helfen?", fragte die kleine Feldmaus, und ihre Augen funkelten verlockend bei den leise ausgesprochenen Worten.
Paul Hoppel und Klein-Moritz Küken von Ententeich stellten sich sofort zur Verfügung und sprachen Frida Mäuschen von Eichen auf die zu erwartende Belohnung an: „Was ist denn das für eine Belohnung, Frida-Maus?"
„Zuerst die Arbeit, dann die Belohnung", kam die direkte Antwort von der kleinen Maus.

Frida lotste die beiden angeheuerten Erntehelfer zum nahe gelegen Haselnussbaum und gab sofort strikte Anweisung, was in die Vorratskammer zu transportieren sei.
Mit den Worten „Und gebt Acht, was ihr mitnehmt, es ist nicht alles essbar, was hier so herumliegt, meine lieben Freunde. Sie beobachtete heimlich aus den Augenwinkeln ihre beiden Helfer."
Paul Hoppel und Klein-Moritz betrachteten die alten Haselnüsse vom letzten Jahr. Sie fragten vorsorglich nach, ob Frida-Maus diese alten Nüsse wirklich haben möchte, da die Nüsse nicht gerade den Eindruck machten, als ob sie noch essbar und genießbar wären. Irgendwie fühlten sie sich auch so leicht an, als ob da gar kein Nusskern mehr drinnen wäre. Sie waren sich einig, irgendetwas stimmt da nicht. Sie sprachen Frida-Maus darauf an und weigerten sich, die alten leere Nüsse an die Eiche zur Vorratskammer zu schleppen. „Das ist unnötige Arbeit", waren sich die beiden einig.
Die kleine Feldmaus grinste und sprach: „Schön Freunde, das ihr mitdenkt! Natürlich möchte ich nur Nüsse mit Nusskern. Leere Nüsse nützen mir nichts. Das ist doch klar!"
„Aber Frida-Maus, dann müssen wir doch warten, bis es Herbst ist, erst dann sind wieder lecker gefüllte Haselnüsse zu haben! Was sollen wird denn hier tun? Das verstehen wir nicht!"
Sie blickten sich fragend an und setzten sich gemütlich unter den Haselnussbaum, letztendlich würden wir doch unnötig unsere Zeit vergeuden.
„Na, ich wollte nur mal sehen, ob ihr mir helfen würdet", sprach die kleine Feldmaus zu Paul Hoppel und Klein-Moritz.
„Ach so, das war ein Test!", riefen beide verärgert aus. „Na warte, Frida-Maus, nicht mit uns! Das geht so nicht, das macht man nicht mit seinen Freunden!"

Die kleine Feldmaus legte sich gemütlich in die Sonne, schaute belustigt zu ihren neuen Freunden und schlief friedlich ein. Paul Hoppel gab Klein-Moritz sofort ein Zeichen zum Aufbruch. Leise wisperte Paul Klein-Moritz seinen Plan ins Ohr, sodass Frida-Maus nicht aufwachen würde.

Urplötzlich kam Bewegung in die Blumenwiese, Paul Hoppel und Klein-Moritz flitzten um die Wette und schleppten eine Haselnuss nach der anderen zur alten Eiche. Ihr Weg folgte einer breiten Furche quer durch die Wiese. Unermüdlich machten sie sich ans Werk, und endlich hatten sie alle Nüsse zur Eiche getragen.
Klein-Moritz schob sie nacheinander mit seinen kleinen Füßen in die Bodenöffnung ins Mauseloch und drückte so lange, bis sie endlich alle drin verstaut waren ... Schnell rannten sie zurück und legten sich zu Frida-Maus auf die Wiese. Es dauerte nicht lange und beide schliefen erschöpft ein.

Nach einiger Zeit wachten alle drei auf und entschieden sich, noch ein wenig auf der Wiese herumzutollen. Sie alberten den ganzen Vormittag herum und hatten gemeinsam ihren Spaß.
Sie rannten heiter und fröhlich hinter den Schmetterlingen her, krabbelten den kleinen Käfern über die Wiese nach, hüpften über Wurzeln und Zweige, anschließend spielten sie begeistert miteinander Verstecken im hohen Gras. Schnell verging die Zeit, daher beschlossen sie wieder heimzugehen. Mama Hoppel und Entenmama Alrun würden wahrscheinlich schon lange warten, weil bestimmt schon Essenszeit war. Blitzschnell machten sie sich auf den Weg Richtung Eichbaum, um anschließend nach Hause zu gehen.

Gerade als sie am Eichenbaum ankamen und sich von Frida-Maus verabschieden wollten, kam Mama Feldmaus hinter dem Eichenbaum hervorgerannt.
Händeringend kam sie auf die kleine Truppe zugestürmt und rief: „Sofort alle hierher! Das gibt es doch nicht, da hat mir doch tatsächlich jemand den Eingang zu unserer Wohnung mit leeren Haselnüssen zugemüllt! Wenn ich die Übeltäter erwische!", polterte sie noch drohend hinterher.
Paul Hoppel und Klein-Moritz sahen sich betreten an und senkten verstohlen ihren Blick zu Boden...
Feldmaus Frida sah interessiert und äußerst neugierig den zugeschütteten Eingang zum Mauseloch an. Dann sah sie zu Paul Hoppel und Klein-Moritz und verstand sogleich, wer die Übeltäter waren.
„Erwischt!"
Gemeinsam räumten die drei Freunde flugs den Eingang wieder frei, worauf Mama Feldmaus den schnellen Einsatz lobte.

Doch plötzlich stutzten die zwei Helfer und fragten zeitgleich, wie aus einem Munde: „Aber Mama Feldmaus, wie bist du denn eigentlich aus der Mauswohnung gekommen, wenn doch der Eingang versperrt war?"
Da lächelte Mama Feldmaus Frida-Maus und ihre Freunde an und sprach: „Na natürlich durch einen der Seitenein- und -ausgänge, sozusagen durch einen der Notausgänge."

Paul Hoppel und Klein-Moritz standen staunend da, sie waren sich einig, dass mehrere Ein- und Ausgänge sehr nützlich sein können.
Auf dem Nachhauseweg überlegten sie sogleich, wo man bei ihnen daheim so einen oder mehrere Notausgänge schaffen könnte.
Für den Fall der Fälle ...
©HarmaRegina Rieth (2014)

 

WeihnachtsGeschichte 1979

Das Weihnachtsgeheimnis

Das große Weihnachtsgeheimnis zwischen Vater und Sohn

Hochschwanger und eher unbeweglich, bemühe ich mich die letzten Vorbereitungen für das Weihnachtsfest zu erledigen. Unser Sohn Torsten dreieinhalb Jahre, wurde in die vorweihnachtlichen Arbeiten mit einbezogen. Er half in seinem kindlichen Übereifer, alle schon von mir mühsam erledigte und getane Arbeit, wieder zu vernichten. Die Wohnung wurde, eher noch durch ihn, zu einem Chaos, bei seiner übergroßen Unterstützung und großen Hilfe. Da es mit meiner Bewegungsfreiheit, mit meinem runden Schwangerschaftsbauch nicht mehr weit her war, blieb logischerweise einiges in der Wohnung liegen. Den Haushalt schaffte ich gerade noch. Doch das Spielzeug Chaos auf dem Boden, vermochte ich nicht zu beseitigen. Zu meiner Entlastung bot sich mein Mann an, mit Sohnemann eine Stunde spazieren zu gehen…

Schnell nutzte ich die Gelegenheit, ich ließ alle herum liegende Spielsachen eiligst verschwinden. Und- ab damit in die Spielzeugkiste, Deckel drauf und gut ist. Gerade wollte ich es mir noch gemütlich auf dem Sofa machen, ein wenig entspannen, wäre schön. Als Mann und Kind wieder zurückkamen, war es sogleich vorbei mit gemütlich.
Verärgert darüber, dass ich alles Spielzeug weggeräumt hatte, stiefelte mein Sohnemann missmutig hin und her. Ich erklärte ihm, dass Heiligabend morgen sei, und alles aufgeräumt sein müsse. Da das Christkind in so einen Durcheinander und Tohuwabohu keine Geschenke bringen würde. Jetzt war er vollends beleidig, er zog die Augenbraunen hoch, runzelte die Stirn, verzog seinen Mund letztendlich noch zur verärgerten spitzen Kinderschnute. Ich hielt den Zeigefinger hoch, und ermahnte ihn, brav zu sein. Er solle sich überlegen, ob das Christkind ihm etwas untern Baum legen solle, oder ob es eventuell vorbei huschen würde, da er nicht lieb sei. Der Spruch - hatte seine Wirkung nicht verfehlt…!

Da ich noch eine Plätzchensorte backen wollte an diesem Morgen, bot er sich dann doch noch als kleiner Helfer, übereifrig an. Schnell war der Teig für Spritzgebackenes gemacht. Zwischen dem Herumhantieren und Teigzutaten zusammenstellen, frage ich so ganz nebenbei ohne Arglist, ohne groß darüber nachzudenken, sag mal Torsten: „Wo warst du denn mit Papa hin, wo wart ihr denn spazieren gewesen!?“ Torsten, knetete sein kleines Teigklümpchen weiter durch. Er gab sogleich bereitwillig Antwort auf meine Frage. Mit erhitzten Bäckchen meinte er jedoch eher gespielt gelangweilt auf meine Frage: „Dat is geheim, geheim, geheim! So hot de Baba gesaht, dat darf eisch net verorre…!

Ich verrate dir nix, Mama, dat is us Weihnachtsgeheimnis!“ fügte er noch wie zum Unterstreichen seiner Verschwiegenheit hinzu. Verdutzt schaute ich ihn an. Ich fragte nicht weiter nach, gab mich stirnrunzelnd mit seiner Antwort zufrieden.

Wir bauten den alten Fleischwolf von Oma Alwine zusammen und fingen an, den Teig für das Spritzgebackene vorsichtig durch den Fleischwolf zu drehen. Voller Tatendrang half Torsten mit. Nachdem der Teig in langen glatten Teigstreifen auf zwei vorbereitete Backbleche kam, entschied ich mich, die nächsten beiden Bleche, in Ringform zu belegen.
Andächtig schaute Torsten zu. Als dann die ersten beiden Ringe, aus dem Fleischwolf kamen, blickte er diese mit grüblerischem Gesichtsausdruck an… Ich legte sie vorsichtig aufs Backblech. Als ich unverhofft die leise Stimme von meinem Sohn vernahm: „Die sieh‘n jo grad so aus wie die Ohrring, die de Baba vorhin, im Uhregeschäft fa deisch kaft hot…!“

Jetzt war‘s passiert! Das große, geheime Geheimnis war raus. Ich ließ ihn weiter den Fleischwolf drehen und ignorierte lächelnd seinen Satz, den er gedankenverloren beim Anblick der Gebäckringe aussprach.
Zur Bescherung versammelten wir uns alle, in Omas Heiligabendstube. Die Geschenke wurden übergeben…, natürlich tat ich erstaunt und freudig überrascht, als ich von Hellwig in Weierbach das kleine Schmuckkästchen in Händen hielt. Zum Vorschein kamen zwei große goldene Ohrringe in Form, der Plätzchen, den „Spritzgebacken-Ringeln“, ich musste schmunzeln.
Am ersten Weihnachtstag, sagte mein Mann stolz zu mir: „Ich hätte nicht gedacht, dass der Kleine das Geheimnis für sich behalten würde! So sind wir Männer, geheim bleibt geheim, ob große- oder kleine Männer, Weihnachtsgeheimnisse werden nicht verraten…


Ich ließ ihn in seinem Glauben und verriet den Sohn nicht, der unbewusst das Weihnachtsgeheimnis verraten hatte!

©HarmaReginaRieth